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für Familien mit verhaltensauffälligen Kindern
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Verhaltenstraining
Dr. Johannes Streif

 

 

 

 




Arzt
Psychologe
Andere
Selbstdiagnose
Entbehrlich

 

 
Seit die Hyperkinetische Störung (HKS) bzw. die Aufmerksamkeits- defizit-/[Hyperaktivitäts-]Störung (AD[H]S) in den Mittelpunkt des gesellschaftlichen Interesses gerückt ist und die Diagnosezahlen mehr und mehr ansteigen, wird die Frage nach einer zuverlässigen Stellung der Diagnose immer lauter. Zwischen den Befürwortern der Störung und ihren Kritikern hat sich ein weites Feld geöffnet, auf dem nicht nur die Symptome und Ursachen, sondern auch die an der Diagnosestellung beteiligten Fachleute und deren Verfahren heftig umstritten sind. Für den Laien, seien es die Eltern betroffener Kinder oder möglicherweise selbst betroffene Erwachsene, bleibt nicht selten unverständlich, warum verschiedene Fachrichtungen unterschiedliche Zugänge zur gleichen Problematik als "gültige" Lösung präsentieren. Was unterscheidet eigentlich (Fach-)Ärzte von Psychologen? Kann man Aufmerksamkeit oder Hyperaktivität messen? Welche anderen Disziplinen außer Ärzten und Psychologen sind von Berufs wegen noch geeignet, eine entsprechende Diagnose zu stellen? Ich kenne meine Kinder und mich am besten: Kann ich sie oder mich selbst nicht auch selbst diagnostizieren? Und schließlich: Sind alle Untersuchungen sinnvoll und notwendig, die im Rahmen der Hyperkinetischen Störung empfohlen werden - oder ist nicht auch manches entbehrlich? Unter den Menschen lernen oder betreiben zwar die einen diese, die anderen jene Kunst; diese eine aber, die für jeden notwendig ist, müssten alle lernen. [...] Wenn nun auch die vollkommene Kenntnis der gesamten Heilkunst nur wenigen zuteil werden kann, die ihr ganzes Leben diesem einen Studium gewidmet haben, so sollte doch billigerweise wenigstens von demjenigen Teil, der sich auf den Schutz der Gesundheit bezieht, jeder ein Wissen haben.

Erasmus von Rotterdam
Enconium artis medicae
Zum Lobe der Heilkunst
von 1518; zitiert nach:
Fritz Ebner für E. Merck AG
Darmstadt 1960


Wer kann die Diagnose stellen?

* Alle Berufsbe-
  zeichnungen
  etc. werden
  auf dieser
  Seite der
  Einfachheit
  halber nur in
  männlicher
  Form ge-
  braucht. 

Formal kann die Diagnose einer Hyperkinetischen Störung in Deutschland nur ein approbierter Arzt* oder Psychotherapeut* stellen. Approbiert heißt in diesem Zusammenhang, dass die entsprechende Person eine gesetzliche Zulassung als Arzt (gleich welcher Fachrichtung) oder Psychologe hat, die es ihm erlaubt, ärztlich und/oder psychotherapeutisch tätig zu sein. Die Zulassung wird in den deutschen Bundesländern von unterschiedlichen Behörden erteilt. Die sog. "gesetzlichen Krankenkassen" verlangen als Abrechnungsgrundlage darüber hinaus die Eintragung in das Arztregister, d.h. die Zulassung als Kassenarzt oder Kassenpsychotherapeut. Manche Privatkassen, aber auch nach dem Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG) in der Finanzierung von pädagogischen und therapeutischen Leistungen engagierte Sozialbehörden gewähren diese nur nach Vorlage fachärztlicher Atteste. Obschon manch nicht approbierter Psychologe oder Therapeut durchaus in der Lage sein mag, eine fundierte Diagnose zu stellen - vor dem Gesetz Bestand haben nur die Atteste der zugelassenen Ärzte und anerkannten Psychotherapeuten.

Einzelne Facharztrichtungen bzw. ihre Vertreter sind aufgrund von Ausbildung und praktischer Tätigkeit eher als die übrigen geeignet, die Diagnose einer Hyperkinetischen Störung zu stellen. Dazu zählen im Kindesalter die Kinder- und Jugendpsychiater, die Pädiater (Kinderärzte) sowie die Sozialpädiater (i.d.R. Kinderärzte mit Zusatzqualifikationen im Bereich der öffentlichen Gesundheit sowie der Psychiatrie); da viele Kinder v.a. in ländlichen Gebieten dieselben Allgemeinärzte wie ihre Eltern aufsuchen, sind nicht wenige Fachärzte für Allgemeinmedizin im Bereich der Pädiatrie bzw. Kinder- und Jugendpsychiatrie durchaus kundig. Nicht zuletzt verfügen Fachärzte für Neurologie aufgrund ihrer spezifischen Kenntnisse in der Hirnentwicklung über eine zunehmend bedeutsamer werdende Schlüsselqualifikation in Verständnis und Therapie von Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörungen. Sie sind neben den Fachärzten für Psychiatrie (und Psychotherapie) auch die naheliegenden Ansprechpartner betroffener Erwachsener.

Unter den verschiedenen Disziplinen der Psychologie und Psychotherapie sind gleichfalls die Vertreter verschiedener Richtungen bzw. Schulen den Inhalten ihrer Ausbildung und Tätigkeit nach für die Diagnosestellung geeignet. Unter den Fachrichtungen der Psychologie sollten die Klinischen Psychologen sowie die Entwicklungspsychologen grundsätzlich durch Studium und Arbeit mit dem Störungsbild vertraut sein. Im therapeutischen Alltag haben diese Richtungen jedoch keine feste Bedeutung. Hier ist bedauerlicherweise auch nach der Verabschiedung des deutschen Psychotherapeutengesetztes (PsychThG) für die Patienten de facto kaum etwas klarer und verlässlicher als zuvor. Unter den heute zugelassenen Psychotherapeuten sind fast ausschließlich die bereits früher im Delegationsverfahren (d.h. auf Verschreibung der Ärzte) tätigen Psychotherapeuten wieder "am Markt" - nun durch Gesetzgebung und die restriktive Kassenzulassung vor dem bisweilen besseren Nachwuchs geschützt. Betrachtet man die zugelassenen Therapieschulen, die sich letztlich mehr in der Therapieform als den diagnostischen Standards unterscheiden sollten, so sind v.a. im Kindes- und Jugendalter Verhaltenstherapeuten den Vertretern humanistischer und tiefenpsychologischer Verfahren vorzuziehen. Gerade letztere haben sich in Person einzelner, auch recht prominenter Therapeuten durch z.T. fragwürdige Mutmaßungen oder gar Behauptungen zur Ursache der Hyperkinetischen Störung auch diagnostisch disqualifiziert. 


Im Alltag verschwindet die Therapieschule jedoch meist hinter der Persönlichkeit des Therapeuten. Ungeachtet der hier angeführten Vorüberlegungen sollte bei der Wahl des Diagnostikers wie auch des Therapeuten daher die eigene kritische Einschätzung der fachlichen wie menschlichen Qualitäten des Arztes oder Psychologen im Mittelpunkt stehen. Wichtig ist bereits beim Stellen der Diagnose nicht allein das Wissen um die Störung, sondern v.a. auch die Hilfe, die aus den diagnostizierten Problemen abgeleitet wird.


Was gehört alles zur Diagnose?

Die Diagnose der Hyperkinetischen Störung muss formal die Kriterien der ICD-10 erfüllen. Dazu gehört der Nachweis von Symptomen der Impulsivität, Hyperaktivität und Aufmerksamkeitsstörung. Darüber hinaus müssen Krankheiten, Umwelteinflüsse und Schädigungen ausgeschlossen werden, die eine vergleichbare Symptomatik hervorrufen können. Nicht zuletzt sollte den "Rahmenbedingungen" der Störung, d.h. den Lebensbedingungen der oder des Betroffenen Aufmerksamkeit zukommen: Familie; Schule oder Arbeitsplatz; Freizeit und Freundeskreis; materielle, darunter räumliche Voraussetzungen; Vergangenheit und Zukunftsperspektive.

 

Aber nicht nur für den Körper, der der wertlosere Teil des Menschen ist, trägt der Arzt Sorge, - er sorgt sogar für den ganzen Menschen[...]. Denn wie wegen der wechselseitigen Verbindung und Verknüpfung beider Teile die Gebrechen der Seele sich in den Körper ergießen, so hemmen andrerseits die Krankheiten des Körpers die Lebenskraft der Seele oder vernichten sie gar völlig.

Erasmus von Rotterdam
Zum Lobe der Heilkunst (s.o.)

- Diagnostische Erfassung der Kernsymptomatik
- Weiterführende interessante Informationen
- Ärztliche und fachärztliche Untersuchungen
- Weniger bedeutsame oder irreführende Daten

 

 

impulsiv
hyperaktiv
unaufmerksam

Diagnostische Erfassung der Kernsymptomatik

Die Kernsymptomatik der Hyperkinetischen Störung besteht aus Symptomen der Impulsivität, Hyperaktivität und Aufmerksamkeitsstörung. Die Symptome aller drei Gruppen werden bis heute primär durch Beschreibungen von Personen aus der Umwelt der Betroffenen bzw. der Patienten selbst erfasst. Das gilt insbesondere für die ärztliche Praxis, die tendenziell weniger mit Verfahren aus dem Bereich der Psychodiagnostik wie Tests oder neuropsychologischen Messgeräten vertraut ist. Aber auch viele Psychologen verfügen weder über die Erfahrung noch die Ausstattung zur standardisierten Überprüfung von Auffälligkeiten im Bereich der Kernsymptomatik. Ungeachtet aller klinischen Routine vieler Ärzte und Psychotherapeuten ist eine Diagnosestellung, die sich ausschließlich auf unstrukturierte Gespräche mit dem Betroffenen und seiner sozialen Umgebung stützt, nicht hinreichend genau, um die subjektive Auffälligkeit in Teilbereichen vom Vorliegen der Störung sicher abzugrenzen.

Ein einfacher Zugang zu standardisierten und zum Teil auch normierten, d.h. mit einer Gruppe von unauffälligen Menschen vergleichbaren Daten besteht in der Anwendung von Fragebogenverfahren. Diese fragen das Verhalten einer Person in bestimmten Situationen ab; der Patient oder "Beobachter" (Eltern, Lehrer, Freunde) beantworten fest vorgegebene Fragen mit »Ja« oder »Nein« bzw. bewerten Aussagen über das Verhalten hinsichtlich der Stärke ihres Zutreffens auf den Patienten.

Einzelne Aspekte der Kernsymptomatik der Hyperkinetischen Störung sind auch mit neuropsychologischen Testverfahren messbar. Der Einsatz solcher Tests ist sinnvoll, um Berichte und  situative Beobachtungen durch die Ergebnisse standardisierter Methoden der Datenerhebung zu untermauern. Denn: Selbstbeherrschung und Konzentration sind nicht nur physiologisch, d.h. in der angeborenen Natur des Menschen vorgegeben, sondern zugleich von erlernbaren Strategien abhängig. Daher ist es wichtig, die entsprechenden natürlichen Voraussetzungen eines Menschen möglichst getrennt von denkbaren Einflüssen durch ungenügendes Wissen und unzureichende Strukturierung der Umwelt zu untersuchen. Neben meist computergestützten Testverfahren zur Messung von Aspekten der Aufmerksamkeit und Impulsivität können auch einzelne Aufgaben aus Intelligenztests oder Geräte zur Erfassung der motorischen Aktivität im Diagnoseprozess wichtige Informationen liefern.

 

Intelligenz
Wahrnehmung
Gedächtnis
Motorik

Diagnostisch interessante Informationen, 
die über die Kernsymptomatik hinausgehen:

Mit der Hyperkinetischen Störung ist häufig eine Reihe von Auffälligkeiten verbunden, die nicht unmittelbar Ausdruck der Kernsymptomatik sind, jedoch mit der Störung und/oder komorbiden Störungen in Zusammenhang stehen. Bisweilen ist es nicht nur interessant, sondern notwendig, diese weitergehende Symptomatik genauer zu betrachten, weil sie wichtige Informationen für die Differentialdiagnostik, d.h. die Abgrenzung der Hyperkinetischen Störung von anderen Störungen bereithält. Dazu sind neben der Allgemeinen Intelligenz - die entgegen der Bezeichnung "allgemein" dennoch stets nur ein beschränktes Bild der intellektuellen Leistungsfähigkeit darstellt - v.a. Wahrnehmungs- und Gedächtnisleistungen sowie motorische Fähigkeiten von Interesse. Die große Mehrheit der hier gebräuchlichen Testverfahren stammt aus dem Bereich der (Neuro-)Psychologie und wird i.d.R. von Psychologen durchgeführt. An dieser Stelle sind allerdings auch medizinische Untersuchungen sehr wichtig, um beispielsweise physiologische Fehlfunktionen von Sinnesorganen und andere organische Ursachen für falsche Steuerungsprozesse von Wahrnehmung und Motorik auszuschließen bzw. einzugrenzen. 

 

Krankheiten
Unfallfolgen
Allergien
Vergiftungen

Ärztliche und fachärztliche Untersuchungen

Medizinische Untersuchungen sollten stets ein fester Bestandteil der Diagnose von psychischen Störungen jeder Art sein. Gerade weil im Menschen geistige und körperliche Funktionen untrennbar miteinander verwoben sind, können körperliche Beschwerden psychische Ursachen haben. Häufiger noch haben jedoch psychische Probleme zumindest in Teilen körperliche Ursachen bzw. entstehen auf der Grundlage einer besonderen physischen Disposition, d.h. der körperlichen Verfassung eines Menschen. Zwei Einflusswege sind dazu denkbar. Erstens beeinträchtigen körperliche Beschwerden mittelbar die Psyche eines "kranken" Menschen. Eine Fußverletzung kann das Ende der Karriere eines Profifußballers bedeuten; obwohl die Verletzung nicht unmittelbar auf die Psyche einwirkt, mag die überraschende Perspektivlosigkeit zu einer tiefen Traurigkeit, Unsicherheit und auch Lebensunlust führen. Zweitens beruhen auch geistige Funktionen auf körperlichen Grundlagen. Das Gehirn, in dem Wahrnehmung, Denken und Fühlen entstehen, ist eine Maschine, die vieler materieller Voraussetzungen bedarf, um richtig zu arbeiten. Veränderungen an der "Ausstattung" (z.B. lokale Schädigungen) oder den "Betriebsstoffen" (z.B. Stoffwechselstörungen) der Maschine beeinflussen das Wahrnehmen, Denken und Fühlen unmittelbar. So sind beispielsweise rund 25 Prozent der Bevölkerung Nordskandinaviens in den Monaten des langen Polarwinters depressiv; diese klinisch bedeutsame Erkrankung wird durch den Mangel an Licht verursacht, der unmittelbar auf den Hirnstoffwechsel einwirkt. Dass nicht jeder Sportler am frühen Ende seiner Karriere psychisch leidet oder drei von vier Skandinaviern den Winter ohne krankhafte Beeinträchtigung ihrer Stimmung überstehen, hängt vor allem von der Verfassung ab, in der Menschen diesen äußeren Bedingungen ihres Lebens entgegentreten. Die Mehrheit verfügt nämlich über eine physische und psychische Gesundheit, die ein hohes Maß an - auch schicksalhaften - Veränderungen toleriert. Andere hingegen stellen sich diesen äußeren Faktoren geschwächt entgegen. Ihr Körper und Geist verfügt nicht über die Kräfte, die Gesundheit und Lebenszufriedenheit geben. Sie zeigen ein Verhalten, das auf ein ungleich größeres Leiden an den gleichen Umständen schließen lässt. Daher sind auch Denken und Fühlen, Wahrnehmung und Verhalten niemals ohne Kenntnis der körperlichen Verfassung eines Menschen zu verstehen.

 

Ernährung
Integration
  der Sinne
Frühkindliche
  Erlebnisse
  oder vor-
  geburtliche
  Prägung
Traumata
Konstellation
  in Familien

 

 

Weniger bedeutsame oder irreführende Informationen

Der diagnostische Prozess zur Abklärung einer psychischen Störung ist stets ein Kompromiss aus notwendigen und zugleich hinreichenden Untersuchungen. Eine erschöpfende Abklärung aller Gründe, die zu Verhaltensauffälligkeiten führen können, ist nicht machbar. Neben der Vielzahl an denkbaren Ursachen liegt dies nicht zuletzt an der Willkür unserer Entscheidungen, d.h. der Freiheit des menschlichen Willens. Mehr noch: Bereits der Versuch, die Bedingungen von Verhalten umfassend begreifen zu wollen, würde für eine Therapie von Verhaltensstörungen problematische Konsequenzen haben. Immerhin könnten sich sowohl der Patient als auch seine Umwelt auf die Position zurückziehen, dass sie letztlich keine Verantwortung für das Verhalten und seine Änderung tragen. Das aber ist nicht richtig! Ebenso können marginale, d.h. nur einzelne Randbereiche der Hyperkinetischen Störung betreffende, irreführende oder gar falsche Informationen von der Diagnose und Therapie der eigentlichen Problematik und ihrer Gründe ablenken. So tragen z.B. Ernährungsfaktoren in geringem Umfang indirekt zur Verhaltensausprägung bei, sei es vermittels  Unverträglichkeiten, Essgewohnheiten oder der Zuwendung durch Diätpläne. Dennoch führen Veränderungen der Ernährung, die in ihrer Umsetzung z.T. sehr aufwendig sind, i.d.R. nicht zu bedeutsamen Verhaltensänderungen, weder allgemein noch insbesondere im Hinblick auf die hyperkinetische Symptomatik. Eine umfangreiche diagnostische Berücksichtigung dieser Faktoren erbringt daher im Vergleich zum Aufwand absehbar wenig Gewinn. Irrige Annahmen wie beispielsweise die Vorstellung, Unaufmerksamkeit und Hyperaktivität seien die Folge eines ungenügenden Zusammenspiels der Sinnesmodalitäten bzw. Wahrnehmungsfunktionen, legen Untersuchungen und Behandlungsformen nahe, die, mögen sie auch anderweitig Kompetenzen der Patienten fördern, für die Therapie der eigentlichen Störung und ihrer Folgen nicht ausreichend sind. Werden sie parallel zu indizierten Therapien angewendet, bedeuten diese Maßnahmen schlimmstenfalls eine zusätzliche Belastung des Betroffenen. Sollen sie aber im Grunde notwendige andere Interventionen ersetzen oder sind diesen vorgeschaltet, geht wertvolle Zeit für eine angemessene Diagnostik und Behandlung verloren. Daher macht es Sinn, weniger wichtige oder gar irreführende Informationen von vornherein auszuschließen.

 

Was Sie sonst noch wissen sollten

"Die beste Krankheit taugt nichts!" Diese (wohl alte) Volksweisheit gewinnt in den letzten Jahren gerade im Bereich der Kinder- und Jugendpsychiatrie wieder an Brisanz und Bedeutung. Die Zahl der Diagnosen, welche über verhaltensauffälligen Kindern aufgetürmt werden, steigt beständig an. Sind unsere Kinder tatsächlich mehr und mehr gestört?

Nein! Es ist nicht das Verhalten der Kinder, das sich im luftleeren Raum verschlechtert hätte, sondern Entwicklungsbedingungen, Anforderungen und Perspektiven haben sich stark verändert. Psychischen Störungen kommt heute eine größere Aufmerksamkeit, in einer auf Selbstkontrolle ausgerichteten liberalen Gesellschaft aber auch weitaus größere Bedeutung zu. Wir sehen vermehrt und mit geschulterem Auge auf die Probleme unserer Kinder, weil wir keine konkrete Vorstellung von ihrer Zukunft mehr haben. Daher fällt es uns schwer einzuschätzen, welche Fähigkeiten und Fertigkeiten sie als Erwachsene einmal brauchen werden - und am liebsten gäben wir ihnen all unser Wissen und Können mit auf den Weg, entfernten alle Steine und gewährten ihnen jede erdenkliche Förderung. Und sollte diese Hilfe nur über eine Diagnose zu erhalten sein, so akzeptieren wir leichthin auch die Störung, die wir in der Folge bekämpfen.

Bleiben Sie kritisch! Versuchen Sie sich an Ihre eigene Kindheit zu erinnern und ob das in Frage stehende auffällige Verhalten auch damals als Störung verstanden worden wäre. Wägen Sie die Gründe und Erklärungen, die Ihnen für Ihr Verhalten oder das Ihres Kindes von Fachleuten genannt werden, gründlich ab: Macht das Sinn? Ist das so einfach? Kann man das messen? Hilft mir das weiter? Ist das nötig? Wird das in Zukunft noch von Bedeutung sein? Lesen und Lernen Sie nicht nur über die Krankheit, sondern auch über die Gesundheit. Üben Sie sich darin, in allem erst das Positive zu sehen. Umgeben Sie sich mit "normalen" Menschen und vermeiden Sie ein Verharren in Begriffen und Bildern der Störung. Suchen Sie Ärzte, Psychologen oder andere Fachleute auf, die nicht Ihrer Meinung sind, um Ihre Argumente mit deren zu messen. Hinterfragen Sie Ihr eigenes Denken, was Sie oder Ihr Kind durch die Diagnose einer Hyperkinetischen Störung gewinnen, was es verlieren kann. Befreien Sie sich von entbehrlichem Wissen und den unklaren Einwänden ideologischer Schulen oder ungeeigneter Disziplinen. Nehmen Sie ernst, was Sie denken und wollen, was Ihr Kind denkt und will.

Wenn Sie jetzt noch immer der Ansicht sind, Ihr Verhalten oder das Ihres Kindes sind auffällig und bedürfen der Berücksichtigung und Behandlung, dann suchen Sie einen Fachmann auf. Und achten Sie darauf, dass er zur Diagnose die richtigen Fragen stellt.

 

Redekunst oder Dichtkunst ernähren nur einen ausgezeichneten Vertreter; wenn ein Musiker nicht hervorragt, muss er hungern; ein Rechtsgelehrter hat nur ein schmales Einkommen, wenn er nicht außerordentlich tüchtig ist. Allein die Heilkunst ernährt und erhält jemanden ohne Rücksicht auf den Grad seiner Gelehrsamkeit. Auf zahlreichen Wissensgebieten, auf einer unendlichen Kenntnis von Tatsachen beruht die Kunst des Arztes; und doch ernährt häufig das eine oder andere (von ihm gefundene oder vertriebene) Heilmittel sogar einen Ignoranten. So wenig könnte man diese Kunst als unfruchtbar verwerfen!

Erasmus von Rotterdam
Zum Lobe der Heilkunst (s.o.)
Portrait: Ausschnitt aus einem Bild von Hans Holbein (1523)

 

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